Nachweisbar die Stimmung heben
Auch die Wirtschaftsinformatik befasst sich mit der seelischen Balance
05.07.2021
Der TU-Wirtschaftsinformatiker Dr. Martin Adam verbindet in seinem Masterkurs „Wohlbefinden verbessern mit Data Analytics“ Fragen der mentalen Gesundheit mit fundierter Forschung. Damit scheint er einen Nerv zu treffen, denn das Interesse der Studierenden ist riesig. Und erste Erfolge stellen sich auch bereits ein.
Mit so viel Resonanz hatte Dr. Martin Adam gar nicht gerechnet. „80 Studierende wären im ersten Turnus schon ein enormer Erfolg gewesen“, sagt der Wirtschaftsinformatiker, der am TU-Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften forscht und lehrt. Tatsächlich meldeten sich für seine Veranstaltung „Wohlbefinden verbessern mit Data Analytics“ im Sommersemester 2021 dann 113 Studierende an. Gedacht war der Kurs für angehende Wirtschaftsinformatiker:innen und Wirtschaftsingenieur:innen, aber dann saßen auch Studierende der Studiengänge Entrepreneurship and Innovation Management, aus dem Bereich Studium Generale und Gäste aus der Pädagogik und Psychologie in seinen Zoom-Vorlesungen. Adam freut sich: „Das Interesse ist wirklich groß. Viele Studierende verspüren aber auch einen Drang nach Persönlichkeitsentwicklung.“
Zwischen sozialen und technologischen Phänomenen
Martin Adam, der 2016 als Doktorand an die TU Darmstadt kam, befasst sich mit der Schnittstelle zwischen sozialen und technologischen Phänomenen in der Wirtschaftsinformatik. Mentale Gesundheit und die Aspekte der positiven Psychologie sind für den 30-Jährigen schon länger ein Thema – erst recht, seit Covid-19 das Leben und das Studium so durcheinanderwirbelt. „Mental Health spielt in der Gesellschaft eine immer wichtigere Rolle“, sagt er. Doch wie kann das in die Praxis, in den Studienalltag auch an der TU umgesetzt werden? Derzeit schreibt Adam an seiner Habilitation. Diese Zeit wollte er nutzen, um selbst eine Lehrveranstaltung zum Thema zu konzipieren und umzusetzen. Wie lässt sich das Wohlbefinden verbessern und zwar wissenschaftlich nachweisbar? Fragen der mentalen Gesundheit mit der Forschung zu verbinden und durch Data Analytics zu untermauern, ist sein Hauptanliegen. „Eine Lücke im bisherigen Lehrangebot“, glaubt er.
Neue persönliche Herausforderungen
Martin Adam kooperiert dabei mit dem Gesundheitsmanagement der TU Darmstadt. Die Universität engagiert sich mit einem eigenen Netzwerk und Angeboten seit fünf Jahren für die Gesundheitsförderung ihrer Beschäftigten und Hochschulangehörigen. Der junge Wissenschaftler besuchte selbst Kurse; Meditationsangebote sowie Achtsamkeitsübungen des Gesundheitsmanagements sind nun auch Teil seines neuen Masterseminars. Orientiert hat sich der Wirtschaftsinformatiker bei seinem Kurskonzept an bestehenden Ansätzen. Er sieht sich als Vermittler. „Es gibt sehr viel Literatur und Erkenntnisse zum Thema Verbesserung des Wohlbefindens. Darauf baue ich meine Ideen auf“, so Adam. Vorbild ist unter anderem die amerikanische Psychologieprofessorin Laurie Santos, die an der Yale Universität Seminare zum Thema „Die Wissenschaft des Wohlbefindens“ gibt, die innerhalb kürzester Zeit geradezu überrannt wurden.
Die Veranstaltung „Wohlbefinden verbessern mit Data Analytics“ hat Martin Adam in zwei Kapitel unterteilt. In der ersten Phase, die sieben Wochen dauert, stellt er seinen Teilnehmenden immer neue persönliche Herausforderungen. So fordert er sie etwa auf, Tagebuch zu schreiben und jeden Abend vor dem Schlafengehen festzuhalten, wie es ihnen geht, für welche drei Dinge sie dankbar sind oder welche Probleme sie glauben, gut gelöst zu haben. In der nächsten Woche werden diese Erkenntnisse dann in Kleingruppen per Zoom diskutiert und später auch im großen Plenum. „Wobei jeder nur mitteilt, was er mit den anderen teilen möchte“, betont Adam. Genutzt werden dabei technologische Hilfsmittel wie verschiedene Umfragetools oder das Online-Tool Padlet, eine Art virtuelle Pinnwand sowie Methoden der Datenerhebung und -analyse u.a. mit der freien Programmiersprache R.
An das Gute gewöhnen
Wohlbefinden kann psychisch sein, physisch, finanziell. Es gibt viele Aspekte. Im Seminar geht es vor allem um die subjektive Komponente. Das persönliche Wohlbefinden lässt sich mit ausreichend Schlaf, Meditation, Bewegung oder guter Ernährung natürlich steigern, wobei sich der Wirtschaftsinformatiker allerdings vor individuellen Ratschlägen hütet. Ihm geht es vielmehr um allgemeine gesellschaftliche Ansätze und wie Technologie diese verändert. Welche Rolle spielt Geld beim Glücklichsein, soziale Kontakte, materielle Dinge, Erfolg oder Status? Welchen Einfluss haben dabei technologische Phänomene wie Social Media? Ziel ist, die Haltungen oder auch Gedanken der Studierenden zu ändern, „mehr Bewusstsein dafür zu schaffen, was Wohlbefinden ist und ausmacht“, so der Kursinitiator. So empfiehlt er etwa mehr Dankbarkeit und die kleinen Dinge mehr zu genießen. An das Gute gewöhnt sich der Mensch schnell. „Vieles wird selbstverständlich. Selbst ein Lottogewinner fühlt sich irgendwann wieder normal“, nennt er ein Beispiel.
Das Hoch stabil halten
Tagebuch schreiben, die Perspektive wechseln, was wäre, wenn Geliebtes plötzlich nicht mehr da ist? Übungen, die wirksam sind. Auch empirisch mit modernen Datenanalyse Werkzeugen und Methoden belegbar. Basierend auf den im Kurs erfassten Daten und Umfragen fühlten sich 70 Prozent der Teilnehmenden nach der ersten Phase des Kurses bereits besser, sahen ihr Wohlbefinden als gesteigert an. Dieses Hoch will Martin Adam im zweiten, gerade laufenden Teil der Lehrveranstaltung stabil halten. Jetzt geht es um eine langfristige Veränderung, darum „Verhaltensweisen zu platzieren und zu manifestieren“. Vier Wochen lang sollen sich die Studierenden mit einem Thema befassen. Das kann das Tagebuch-Projekt sein, regelmäßige Achtsamkeitsübungen oder die Wiederentdeckung eines verlorenen Hobbys. „Vielleicht hat ja jemand als Kind ein Instrument gespielt“, sagt Adam. Die Studierenden sollen langfristig eine psychologische Stütze sowohl für ihr Privat- als auch ihr Berufsleben finden.
Das Feedback ist gut. „Der Kurs kommt super an.“ Martin Adam will die Masterveranstaltung erneut anbieten und weiterentwickeln. „Basierend auf dem Feedback der Studierenden“, betont er – passend zum Ansatz, dass Wohlbefinden und Wissenschaft verknüpft sein sollen.